Leisniger Kastenordnung
Inhalt der Leisniger Kastenordnung
In einem Nebenraum der altehrwürdigen Superintendentur Leisnig wird in einer kleinen hölzernen Truhe unter anderen historischen Dokumenten die sogenannte Leisniger Kastenordnung aufbewahrt. Es ist ein schön geschriebenes Manuskript von zehn Pergamentblättern in Querformat 33 x 27 cm, einem aus Schweinsleder bestehenden Umschlag gebunden. Der Titel auf dem äußeren Umschlag lautet: „Brüderliche Vereinigung des gemeinen Kasten ganzer eingepfarrter Versammlung zu Leiseneck 1523.“
Auf dem inneren Titelblatt steht: “Ordenung eines gemeinen Kastens. Ratschlag, wie die geistlichen Güter zu handeln seit. Martinus Luther MDXXIII.“
Die ersten vier Seiten nimmt die Vorrede Luthers ein, während die Kastenordnung selber reichlich sechs Blätter füllt.
Für die Entstehung der Kastenordnung ist bedeutsam eine Notiz in einem Brief Luthers an Spalatin vom 25. 9. 1522: „In dieser Stunde reise ich nach Leisnig ab, wohin ich mehrmals gerufen und eingeladen bin.“ Bei diesem Besuch mag er mit dem Rat von Leisnig die Einrichtung des gemeinen Kastens vorbesprochen haben. Unter dem 25. Januar 1523 hat der Rat dann Luther die Kastenordnung überreichen lassen.
Einen Blick in Luthers Geist und Wesen lässt uns zuerst die Vorrede tun. Es geht um die Regelung der durch die Reformation akut gewordenen Fragen sozialer und wirtschaftlicher Art, vor allem hinsichtlich der Klostergüter und Klosterleute, der Bistümer, Stifte und Kapitel, auch um die Verwendung der freiwerdenden Gebäude.
Die entstandene Situation kennzeichnet Luther nicht ohne Humor: „… Ich muss es doch getan haben, wenn die Klöster und Stifte ledig werden, Mönch und Nonnen sich weigern, und alles, was dem geistlichen Stand zu Abbruch und Verkleinerung geschehen mag…“. Für diese neue Lage gibt er seinen Rat: Die Obrigkeit soll die Klostergüter in ihre Verwaltung nehmen. Dazu ist der „gemeine Kasten“ zu errichten, damit nicht „etliche geizige Wänste würden solche geistlichen Güter zu sich reißen…“. Dabei will Luther den Grundsatz “Nun ist kein größer Gottesdienst denn christliche Liebe“ im Einzelnen praktiziert wissen: Niemand soll gezwungen werden, das Kloster zu verlassen, ja, die im Kloster Verbleibenden sollen am liebsten reichlicher und milder als sie zuvor versorgt gewesen sind, versorgt werden, damit man ja spüre, dass nicht der Geiz dem geistlichen Gut, sondern christlicher Glaube den Klöstereien feind sei“. Den Austretenden soll “etwas redliches mitgegeben werden… damit sie sich in einen neuen Stand begeben können“, ja, von eingebrachtem Gut möchte evtl. ein Teil wiedererstattet werden. Auch der Stifter und deren Erben wird fürsorglich gedacht, dass man den “Kindern und Erben das Brot nicht aus dem Maul nehme”. Mit Bistümern, Stiften und Kapiteln soll nach gleichen Grundsatz verfahren werden. Dem an Wucher grenzenden sogen. ”Wiederkauf” will er gewehrt wissen, und aus Bettelklöstern in den Städten soll man “gute Schulen für Knaben und Mägdelein machen.” Im Jubiläumsjahr der Reformation, das zugleich Jubiläumsjahr der Inneren Mission ist, mag es uns bewegen, zu sehen, wie der Reformator, der das Fundament evgl. Glaubens wieder ans Licht gebracht hat auch aus dem Geist der Liebe die sozialen Fragen seiner Zeit gelöst wissen will. Das zeigt sich in der milden Schonung, die den von der geistlichen Umwälzung Betroffenen widerfahren soll und dem großen Gerechtigkeitssinn, der Niemanden um das Seine bringen möchte.
Nach Luthers Vorwort folgt sodann die eigentliche Kastenordnung , mit der der Rat der Stadt Leisnig Luthers Ratschläge zu entsprechen suchte. Es sind sieben Abschnitte, in denen er eine Regelung der Verhältnisse anstrebt.
Der 1. Abschnitt handelt von der Grundlage , auf der das Ganze beruhen soll, nämlich auf Gottes Wort , das zu verkündigen Aufgabe des Pfarramtes ist, unter das Kinder und Hausgesinde zu führen der Hauswirt und die Hauswirtin verpflichtet sind, und um des willen Hauswirt und Hauswirtin ihr Haus zur Ehre Gottes in guter Zucht halten sollen.
Der 2. Abschnitt gibt Vermögen, Vorrat und Einnahmen des gemeinen Kastens an, z. B. alle beweglichen und unbeweglichen Güter des Pfarrlehens das Gesamteigentum des Gotteshauses, die Einnahmen von den Altarlehen, den Brüderschaften, die Gottesgaben von Handwerkern und Bauernschaften Einlagen an Geld und Naturalien im Gotteshause sowie Geschenke und Vermächtnisse.
Der 3. Abschnitt handelt von der Verwaltung des gemeinen Kastens durch zehn Vorsteher, die alljährlich nach dem Drei-Königstag von einer allgemeinen Versammlung zu wählen sind und allsonntäglich die Bücher zu führen und über Ausgaben und Einnahmen zu beschließen haben. Der gemeine Kasten soll im Gotteshause am sichersten Orte verwahrt und mit vier unterschiedlichen Schlössern und Schlüsseln verschlossen sein, dazu die Schlüssel je einen vier Vorsteher haben sollen.
Der 4. Abschnitt erklärt die Bettelei für aufgehoben. ”Denn welche mit Alter und Krankheit nicht beladen, sollen arbeiten … Die aber aus Zufällen bei uns verarmen oder aus Krankheit und Alter nicht arbeiten können, sollen aus unserem gemeinen Kasten ziemlicher Weise versehen werden.”
Der 5. Abschnitt regelt die Ausgaben aus dem gemeinen Kasten, z. B. die Besoldung der Pfarrer, Kirchner und Lehrer. Schulgeld sollen Letztere nicht mehr erheben. Auch die “jungen Maidlein unter 12 Jahren” sollen von einer ”ehrlichen, betagten untadeligen Weibsperson” unterwiesen werden. Ausführlich wird die Armenpflege, die Fürsorge für Fremde, für die Gebäude und die Lebensmittelbevorratung der Stadt behandelt.
Der 6. Abschnitt bestimmt, dass zur Deckung eines etwaigen Fehlbetrages des gemeinen Kastens jeder nach seinem Vermögen ”jährlich ein Geld zulege” und die gewonnene “christliche Freiheit ja nicht etwa missbrauche zur Bedeckung schändlichen Geizes“.
Im letzten Abschnitt wird nochmals von den Jahresversammlungen und Rechenschaftsablegungen gehandelt und dann die Urkunde mit feierlichem Schlusse vollzogen: ”Geschehen und geben zu Leisneck nach Christi unseres lieben Herren Geburt, Tausend fünf Hundert und im drei und zwanzigsten Jahre“.
Wir können nur mit Staunen sehen, wie in dieser Kastenordnung Grundsätze aus dem Geist des Evangeliums festgelegt sind, die bei Abstellung von Missständen schonend mit den Beteiligten, gerecht und voll Liebe bei der Neuordnung; fortschrittlich in Einzelfragen z. B. hinsichtlich des Besoldungs- oder Schulwesens oder der Armenpflege verfahren. Freilich ist es mit dieser Ordnung gegangen wie mit manchem guten Gesetz. Es hat darüber bald Zwiespalt gegeben, wodurch aber der wegweisende Wert dieser Arbeit nicht gemindert wird. Mit gutem Recht ist fast in jedem größeren Kirchengeschichtsbuch von der Leisniger Kastenordnung die Rede.